Vortrag Britta Lübke (Universität Hamburg): "Ungewissheit als Gegenstand des naturwissenschaftlichen Unterrichts" (IN PRÄSENZ!)
Abstract:
Die Welt und die menschliche Existenz sind seit jeher von Ungewissheit geprägt, eine Tatsache, die durch jüngste Ereignisse wie eine globale Pandemieerfahrung noch deutlicher geworden ist. Ausgehend von zeitgenössischen Gesellschaftsdiagnosen, die unsere Gesellschaft als Risikogesellschaft (Beck, 1992), als flüchtigen Moderne (Bauman, 2000) oder als Wissensgesellschaft (Bogner, 2021) beschreiben, lässt sich der normative Anspruch formulieren, dass naturwissenschaftliche Bildung Schüler*innen darauf vorbereiten sollte, in komplexen und ungewissen Kontexten informierte Entscheidungen zu treffen (Christensen & Fensham, 2012). Darüber hinaus ist Ungewissheit ein der Wissenschaft und insbesondere der wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung stets inhärentes und unhintergehbares Moment (Kampourakis & McCain, 2020). Damit lässt sich Ungewissheit aus fachdidaktischer Perspektive unter anderem auch im Kontext von Nature of Science diskutieren. In diesem Vortrag wird ein Vorschlag zur Verortung von Ungewissheit in Nature-of-Science-Konzeptionen vorgestellt und diskutiert (vgl. Lübke & Heukmann, im Druck). Es werden dabei zwei Ziele verfolgt: Erstens die Bedeutung von Ungewissheit für den naturwissenschaftlichen Unterricht herauszustellen und zu begründen sowie zweitens den bisher eher unsystematischen Diskurs um Ungewissheit zu ordnen sowie wissenschaftstheoretisch und wissenssoziologisch weiter zu fundieren. Dazu ist es in einem ersten Schritt notwendig den Begriff der Ungewissheit genauer zu bestimmen. Dies ist im deutschsprachigen Raum auch deswegen relevant, weil sich der englische Begriff uncertainty sowohl mit Ungewissheit als auch mit Unsicherheit übersetzen lässt. In einem zweiten Schritt steht eine Ausdifferenzierung verschiedener Formen von Ungewissheit im Kontext der Naturwissenschaften im Fokus des Vortrags. Diese unterschiedlichen Formen von Ungewissheit werden dann auf den naturwissenschaftlichen Unterricht bezogen, wobei der Fokus zunächst auf der Anbindung an den Diskurs um Nature of Science (NOS) liegt. Ausgehend von Latours Unterscheidung zwischen ready-made-science und science-in the-making (1987) bzw. science und research (1998) wird dafür argumentiert, dass es beide Konzepte braucht, um ein adäquates Bild der Naturwissenschaften im Unterricht zu vermitteln und mögliche Anknüpfungspunkte für die im vorherigen Schritt vorgeschlagenen Formen von Ungewissheit an die Kategorien des Family Resemblance Approach (FRA) (Erduran & Dagher, 2014) vorgestellt. Ungewissheit im naturwissenschaftlichen Unterricht jedoch nur auf den Kontext NOS zu beziehen – so der abschließende Argumentationsgang dieses Vortrag – greift noch immer zu kurz. Der Vortrag endet daher mit einem Ausblick auf weitere Themen des naturwissenschaftlichen Unterrichts (wie z. B. Socio-Scientific-Issues) in denen Ungewissheit implizit oder explizit verortet werden kann.
Literatur:
Bauman, Z. (2000). Liquid modernity. Cambridge.
Beck, U. (2016). Risikogesellschaft: Auf dem Weg in eine andere Moderne. Suhrkamp Verlag.
Bogner, A. (2021). Die Epistemisierung des Politischen. Wie die Macht des Wissens die Demokratie gefährdet. Reclam Verlag.